Autor: Dr. Kay Klapproth. 

Rede zum Demokratiefest auf dem Hambacher Schloss, 16.07.2023

Vor knapp 200 Jahren erlebte Europa eine Bewegung, die auch als „europäischer Völkerfrühling“ bezeichnet werden kann. Die Menschen erhoben sich zu einem Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung und auf dem halben Kontinent forderten Bürger ihre Rechte und mehr Mitsprache ein. In Deutschland hatte die Misswirtschaft der herrschenden Fürsten zu Teuerungskrisen und wirtschaftlichen Notlagen geführt, unter denen große Teile der Bevölkerung zu leiden hatten. Kritik an den Machtverhältnissen und der Willkürherrschaft in einem in Territorialstaaten zersplitterten Staatenverbund war hier nicht erlaubt und wurde von den Landesherren brutal unterdrückt. Vor diesem Hintergrund kam es zu gewaltigen politischen Protestbewegungen, die Widerstand gegen Zensur und staatliche Repressionen leisteten.

Hier auf dem Hambacher Schloss fand 1832 die erste politische Massendemonstration der deutschen Geschichte statt. Die bis zu 30.000 Teilnehmer der als Volksfest deklarierten Versammlung waren Frauen und Männer aus allen Schichten der Gesellschaft. Sie fanden sich hier ein, um ein Zeichen für Freiheit, Einheit und Selbstbestimmung zu setzen. Sie forderten Meinungsfreiheit und eine freie Presse. Sie forderten Bürgerrechte und Versammlungsfreiheit. Sie forderten die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Und sie forderten die Solidarität aller freien Völker in Europa. Heute, fast 200 Jahre später, fordern wir hier an dieser Stelle genau dasselbe wie unsere Vorfahren damals.

Geist der Aufklärung

Aber wie kam es, dass sich die Menschen damals, nach Jahrhunderten der Unterdrückung so selbstbewusst und kraftvoll gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnen und ihr Recht auf Mitsprache einfordern konnten. Eine Ursache dafür war, dass in Europa ein neuer Geist Einzug gehalten hat. Der Geist der Aufklärung. Die Epoche der Aufklärung sollte ein Erwachen der Menschheit werden, die von jedem Einzelnen forderte, sich seines Verstandes zu bedienen. Das Ziel war Erkenntnisgewinn. Sich der Wahrheit immer weiter zu nähern wurde als Aufgabe des Menschseins wiederentdeckt.

Die Aufklärung ging dabei aus einer Wissenschaft hervor, die im 18. Jahrhundert bedeutende Fortschritte gemacht hatte und unsere Sicht auf die Welt fundamental verändert hat. Die Wurzeln dieser neuen Wissenschaftlichkeit liegen bei den Entdeckungen durch Naturwissenschaftler wie Kepler, Galileo, Newton und anderen, die sich der herrschenden Lehrmeinung widersetzten und gegen den Widerstand sogenannter Autoritäten ihre eigenen Erkenntnisse veröffentlichten und verteidigten. Sie waren das Vorbild in einer Zeit, in der große Philosophen und Theoretiker wie Voltaire, David Hume, John Locke, Immanuel Kant und viele andere in ihren Entwürfen die Möglichkeiten des menschlichen Verstands und des gesellschaftlichen Zusammenlebens neu vermaßen.

Die freie Wissenschaft war damit Wegbereiter für die Idee einer liberalen Demokratie. Diese Wissenschaft konnte das leisten, indem sie den Dogmatismus hinter sich ließ, und der Vernunft und der Urteilskraft des Einzelnen Vorrang vor der Autorität einräumte. Echte Wissenschaft ist antiautoritär, oder gar nicht. Wissenschaft verträgt keine Zensur.

Meinungsfreiheit als Grundbedingung von Wissenschaft und Demokratie

Die Meinungsfreiheit ist Voraussetzung für wissenschaftlichen Fortschritt. Skepsis und sorgfältige kritische Überprüfung aller Behauptungen sind die Basis für eine Wissenschaft, die wirklich an Erkenntnis interessiert ist. Somit schaffe diese neue Wissenschaftlichkeit die Grundlagen für die Aufklärung. Wissenschaft wurde zu dem Licht, dass uns die Welt und uns selber besser erkennen lässt.

Wissenschaft wird uns niemals sagen, was wir sehen dürfen oder was wir tun sollen. Echte Wissenschaft versetzt uns in die Lage, unseren eigenen Verstand zu nutzen, um uns so aus  unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Diesem neuen Geist verdanken wir die Freiheit, die es uns ermöglicht, eine Gesellschaftsform zu errichten, die den Namen Demokratie verdient.

Demokratie ist nur möglich, wenn jeder die Möglichkeiten seines Verstandes und seiner eigenen Urteilskraft ausschöpfen kann. Partizipation der Bevölkerung an gesellschaftlichen und politischen Prozessen erfordert den freien Zugang zu allen relevanten Informationen, die freie Entfaltung und Selbstbestimmung jedes Einzelnen. Nur wenn wir offen unsere Zweifel äußern, wenn wir uns den sogenannten Autoritäten verweigern, sind wir freie Menschen, die eine Demokratie formen und erhalten können.

Die Abwesenheit von Zensur, die garantierte Meinungsfreiheit und der öffentliche Raum sind Grundbedingungen jeder demokratischen Gesellschaft. Wir sind keine Wissenschaftsleugner,  wir sind Verteidiger der Wissenschaft, der wir die Freiheit unserer Gedanken und die Freiheit unseres Handelns verdanken.

Zweifel und Kritik gelten wieder als gefährlich

Aber heute sollen uns Zweifel wieder verboten werden. Zweifel und Skepsis seien angebliche gefährlich angesichts der Größe der Bedrohungen, die vor uns liegen sollen. Wer den selbsternannten Autoritäten heute nicht folgt, wird gebrandmarkt, diffamiert und aus dem öffentlichen Raum verbannt. Und allzu viele glauben jenen, die sich anmaßen, über ein höheres Wissen zu verfügen, das angeblich gebraucht würde, um uns durch die beschworenen Gefahren zu leiten.

Aber wer erklärt, dass wir nichts hinterfragen dürfen, dass wir gehorchen müssen, kann niemals im Namen der Wissenschaft sprechen. Wer so spricht nutzt das Ansehen, dass die Wissenschaft sich über die letzten Jahrhunderte verschafft hat, und führt uns zurück in eine Dunkelheit voraufklärerischer Jahrhunderte. Diese Dunkelheit hat zu allen Zeiten den Mächtigen genutzt, die uns nach ihren Wünschen manipuliert und versklavt haben.

Wer die Macht hat und sie behalten will, sieht natürlicherweise in denen eine Gefahr, die ihren eigenen Verstand benutzen, um nach Erkenntnis zu streben. Jeder der hinterfragt, wird für diese Herrschenden zur Bedrohung. Aber wer das Hinterfragen unterdrücken will, wer die Zweifel aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen sucht, kann sich selber nicht mehr zum Demokraten erklären. Er ist nichts weiter als ein Unterdrücker, der den Menschen ihre Mündigkeit absprechen will.

Die selbstverschuldete Rückkehr in die Unmündigkeit

Heute hört man Sätze wie: „Wir müssen den Menschen die Bürde der freien Entscheidung abnehmen.“ Und diese Entmündigung der Menschen ist mittlerweile schon weit vorangeschritten. Und wieder ist sie leider oft selbstverschuldet. Wie bequem ist es doch, angesichts der unübersehbar komplexen Probleme und angeblich existenziellen Bedrohungen zurück zu kriechen in eine bequeme Geborgenheit, in der sogenannte Experten uns sagen, was wir tun sollen. Wie verführerisch mag es für manche sein, die Unsicherheiten und Gefahren des Lebens einzutauschen gegen eine scheinbare Sicherheit. Sicherheit, die uns die gleichen Leute versprechen, die von sich behaupten, die Dinge besser zu verstehen als wir.

Viel zu viele waren in den letzten Jahren viel zu schnell bereit, ihre Freiheit für diese trügerische Sicherheit abzugeben. Und sie haben es nicht einmal bemerkt. Sie werden nicht einmal dann skeptisch, wenn die zweifelhaften Sicherheitsversprechen von denen gegeben werden, die uns zuvor in Panik versetzen wollten, indem sie uns fragwürdige und oftmals inzwischen widerlegte Untergangsszenarien vorausgesagt haben.

Dieser Mangel an Skepsis gegenüber den Apologeten einer Apokalypse, sei es durch Viren oder Klimaveränderungen oder was ihnen sonst noch einfallen könnte, führt letztlich zurück in die Unmündigkeit. Die Bereitschaft vieler Menschen, Gedanken- und Meinungsfreiheit aufzugeben, gefährdet augenblicklich unsere freie Gesellschaft und untergräbt dadurch die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

Was ist zu tun?

Wie können wir das verhindern? Wer den Namen der Wissenschaft missbraucht, um uns in Angst zu versetzen, um unsere sozialen Interaktionen und unsere Bewegungsfreiheit einzuschränken, muss von uns die klare Antwort erhalten: Wir machen da nicht mit.

Wer uns im Namen der Wissenschaft unsere Freiheit streitig macht und uns bevormundet, den erkennen wir nicht mehr als Wissenschaftler an. Wissenschaft braucht Freiheit und verträgt keine Zensur.

Und genauso braucht Demokratie Freiheit ohne Zensur. Beides hängt untrennbar zusammen und beides wird gemeinsam bestehen oder gemeinsam untergehen, wenn wir es nicht verhindern. Wir werden unsere Gedanken und Zweifel weiterhin ohne Furcht äußern und wir dürfen den öffentlichen Raum niemals aufgeben. Wir werden ihn nicht den Feinden der offenen Gesellschaft überlassen. Denn wir sind die Freunde der offenen Gesellschaft.

Wir haben verstanden, was es heißt, echte Demokraten zu sein. Deshalb sind wir diejenigen, die die wahre Tradition des Hambacher Fests weiter pflegen werden.

 

Immer wieder. Ich danke Euch dafür.

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