Autor: Sabine. 

Vorgeschichte zum nachfolgenden Brief an eine Richterin beim Amtsgericht Mannheim

 

Am 19. Dezember 2020 war ich um ca. 17 Uhr zusammen mit meinem Bruder in Mannheim am Rheinufer an den Rheinterrassen. Wir standen dort mit einer Kerze, um zu beten und zu meditieren. Doch kaum standen wir da, wurden wir von acht Polizisten umringt und gefragt, was wir hier tun würden. Auf die Antwort meines Bruders, wir wollen meditieren, wurden wir in einem Befehlston sehr aggressiv angeschrien

„Hier wird nicht meditiert!“ Des Weiteren wurden wir darüber informiert, dass wir uns auf einer verbotenen Kundgebung zum „Rhein-Candle-light“ befinden würden. Wir sahen uns um. Außer uns beiden war in ca. 50-100 Meter Entfernung noch ein Jogger und vielleicht noch ein Spaziergänger unterwegs, ansonsten war kein Mensch weit und breit zu sehen. Von einer Kundgebung, geschweige denn von einer Versammlung nicht die Spur.

Die Polizei wolle nun eine Personenkontrolle durchführen. Mein Bruder hatte keinen Ausweis dabei und ich sagte, dass wir hier einfach nur friedlich stehen wollten. Wir wurden wiederum sehr rabiat angeschrien.

Die Polizei würde nun eine „friedliche“ Personenkontrolle durchführen und wenn wir nicht freiwillig unsere Ausweise zeigen würden, würde diese Kontrolle mit Gewalt durchgeführt werden. Gleichzeitig wurde mir befohlen, die Kerze auszumachen. Ich war sehr erschüttert ob diesem Umgangston und noch bevor ich irgendetwas tun oder sagen konnte, wurde auch schon meine Kerze durch den Polizeianführer dermaßen aggressiv ausgeblasen -fast schon ausgespuckt-, dass das Kerzenwachs an meine Jacke, über die Hose und auf die Schuhe spritzte. Ich zeigte meinen Personalausweis und mein Bruder gab seine Daten an. Nach Abschluss der „friedlichen“ Personenkontrolle erhielten wir einen Platzverweis. Wir haben uns für den „freundlichen Empfang“ in Mannheim bedankt und sind freiwillig gegangen.

 

Im Frühjahr 2021 erhielten wir dann eine Anhörung im Bußgeldverfahren. Wortlaut auszugsweise:

„Ihnen wird zur Last gelegt, am 19. Dezember 2020 um 17 Uhr in Mannheim…… als Betroffene folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben:

Sie haben sich entgegen § 1 c Abs. 1 zwischen 5 und 20 Uhr ohne triftigen Grund außerhalb der Wohnung aufgehalten.

Gemäß § 1 c Abs. 1 der Corona-Verordnung ist es untersagt, im Zeitraum zwischen 5 Uhr und 20 Uhr eine im Geltungsbereich der Corona-Verordnung Baden-Württemberg gelegene Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen und sich außerhalb der Wohnung aufzuhalten.

Dies gilt auch für nicht im Geltungsbereich der Corona-Verordnung Baden-Württemberg sesshafte Personen.   …….

Diese Handlung begingen Sie vorsätzlich.“

 

Die Zustellung dieser Anhörung erfolgte am 27.04.2021.

An diesem Tag haben wir zuvor meinen Bruder gefunden, der sich am 26.04.2021 das Leben nahm.

Das Verfahren gegen ihn war somit beendet.

 

Aufgrund meines Einspruches gegen den folgenden Bußgeldbescheid fand fast genau zwei Jahre später am 23. Dezember 2022  vor dem Amtsgericht Mannheim der Termin zur Hauptverhandlung über meinen Einspruch statt.

In diesem Termin wurde der Polizeibeamte als Zeuge gehört. Unter anderem wurde festgestellt, dass weder eine Kundgebung noch eine Versammlung stattfand, so dass die Richterin das Verfahren nicht – wie offensichtlich ursprünglich von ihr geplant – auf die „Teilnahme an einer verbotenen Versammlung“ erweitern konnte.

Mein Rechtsanwalt trug vor, dass mittlerweile das Bundesverwaltungsgericht Leipzig bereits über die Unverhältnismäßigkeit der Ausgangssperre in der damaligen Bayerischen Coronaverordnung entschied. Dies wurde sofort abgewiesen. Da sich das Urteil auf Bayern beziehen würde, wäre es für Baden-Württemberg unerheblich. Nachdem auch der anwaltliche Einwand, dass nach zwei Jahren doch wohl kein allgemeines Rechtsbedürfnis mehr an einer Bestrafung bestünden könnte und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit durch die Richterin ignoriert wurden, trugen wir unter anderem vor, dass gemäß der damals gültigen Corona-Schutzverordnung § 1c (1) Punkt 15. „Sport und Bewegung im Freien ……mit einer weiteren nicht im selben Haushalt lebenden Person…..“ gestattet war und dies einen triftigen Grund darstellte. Des Weiteren legten wir die damalige psychische Belastung meines Bruders ausführlich dar, die wie gesagt im Frühjahr 2021 im Suizid endete.

Des Weiteren verwehrte ich mich gegen den Vorwurf des Vorsatzes, da ich weder von einer verbotenen Kundgebung noch von der damals in Baden-Württemberg angeordneten ganztägigen Ausgangssperre wusste. Dies kommentierte die Richterin dahingehend, dass es nicht auf den Vorsatz ankäme, sondern auch Fahrlässigkeit bestraft werden kann, frei nach dem Motto „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“.

Nichts desto trotz und da ich mehr als triftige Gründe hatte, war ich mir sicher, dass es nur eine Möglichkeit geben konnte, nämlich einen Freispruch.

Mein Rechtsanwalt sah das von Anfang an ganz anders. Er war sich sicher, „die möchte Sie verurteilen!“

Insofern trug er mehrfach Beweisanträge vor, bis ich ihn nach ca. zwei Stunden stoppte. Wenn die Richterin mich verurteilen möchte, dann soll, muss, wird sie es tun. Ich möchte die Richterin sehen, die mich einen Tag vor Weihnachten verurteilt, nachdem wir die triftigen Gründe gemäß Corona-Schutzverordnung dargelegt und ungeachtet dessen die damalige Situation und das Schicksal meines Bruders ausführlich geschildert hatten.

Ich habe sie gesehen!

Leider nur einen Teil von ihr, da sie während der gesamten Verhandlung eine schwarze FFP2 trug.

 

Ich wurde „im Namen des Volkes“ – also auch in Deinem Namen – verurteilt.

Begründung: Ich hatte eine Kerze dabei und ich wohne nicht in Mannheim.

 

Meine Gefühle über den Verfahrensverlauf, das Urteil und die Begründung sind kaum in Worte zu fassen. Sie reichen über Erschütterung, Traurigkeit, Entsetzen, Sprachlosigkeit, ….. und haben mich veranlasst, ein Gedicht über „Die Kerze“ zu verfassen und den nachfolgenden Brief an die Richterin zu schreiben.

 

Die Kerze

 Ich zünde eine Kerze an,

an deren Licht ich mich erfreuen kann.

 

Der Kerzenschein erhellt die Dunkelheit,

öffnet mein Herz und macht es weit.

 

Es spendet Trost und Zuversicht,

das helle schöne Kerzenlicht.

 

Ich schicke das Licht hinaus in die Welt

Ich hoffe und bete, dass es auch dunkle Seelen erhellt.

 

 

 

An Frau ….

Richterin am Amtsgericht Mannheim

–  persönlich / vertraulich –

 

Sehr geehrte Frau …. ,

 

Sie haben mich am 23. Dezember 2022 verurteilt.

Über das Urteil und vielmehr über Ihre Begründung bin ich zutiefst erschüttert, so dass ich meinem tiefen Bedürfnis nachgehe und Ihnen einen Brief schreibe, in dem ich ausführen und darlegen möchte, warum ich am 19. Dezember 2020 um 17 Uhr, mit einer Kerze in der Hand, am Rheinufer in Mannheim

– offensichtlich zur falschen Zeit am falschen Ort – stand.

Sie haben mich verurteilt, da ich mich angeblich ohne triftigen Grund außerhalb der Wohnung aufgehalten habe und dies gegen die damalige Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg verstoßen habe.

Die mehrfach vorgetragenen triftigen Gründe, die in der Corona-Verordnung unter §1c den Aufenthalt außerhalb der Wohnung auch während der Ausgangssperre gestattet, insbesondere mit Blick auf die damalige psychische Verfassung meines Bruders, die im April 2021 im Suizid endete, möchte ich hier nicht nochmal weiter ausführen, da wir hierüber während der Verhandlung ausführlich vorgetragen haben. Generell möchte ich keine juristische Abhandlung des Verfahrens erstellen, zumal mir das als juristischer Laie ohnehin nicht möglich wäre.

Ich möchte Ihnen erzählen, warum mein verstorbener Bruder und ich an diesem 19. Dezember 2020 ausgerechnet in Mannheim am Rhein mit einer Kerze standen. Warum wir draußen waren haben wir ausführlich in der Verhandlung dargelegt. Doch Indiz für Sie, mich zu verurteilen, war ja die Kerze und dass ich aus Neustadt komme.  Allerdings haben Sie mich während der zwei Stunden Verhandlung kein einziges Mal danach gefragt, warum wir ausgerechnet in Mannheim am Rhein waren und warum ich eine Kerze dabei hatte.

Mein Bruder und ich, wir sind zusammen in Ludwigshafen aufgewachsen. Für uns war es immer etwas Besonderes, nach Mannheim an den Rhein zu fahren. Mein Bruder wohnte bis zuletzt in Ludwigshafen, ca. 5 Minuten Fahrweg vom Mannheimer Rheinufer entfernt.

Ich weiß nicht welche Bedeutung für Sie eine Kerze, insbesondere in der Adventszeit, hat. Für mich ist eine brennende Kerze der Ausdruck von Frieden, von Glaube, von Liebe, von Hoffnung, von Zuversicht, von Licht in der Dunkelheit, von Trost, von Nächstenliebe, von Menschlichkeit, von Respekt und Wertschätzung, von Güte und Wohlwollen und nicht zuletzt entzünde ich eine Kerze zum Gedenken an meine verstorbenen Eltern (der Todestag meiner Mutter ist im Dezember) und mittlerweile auch zum Gedenken an meinen verstorbenen Bruder.

Mein Bruder und ich waren am Rhein spazieren und entzündeten im Anschluss eine Kerze, um im Gebet und der Meditation „inne zu halten“, zu versuchen, der seelischen Not, der Verzweiflung und der vermeintlichen Ausweglosigkeit ein Licht der Hoffnung und der Zuversicht entgegenzuhalten, dem trostspendenden Kerzenlicht zuzusehen und für ein paar Momente der Gegenwart zu entfliehen, im Gebet unseren verstorbenen Eltern zu gedenken und durch das Kerzenlicht Kraft zu schöpfen sowie für uns und für alle Menschen auf dieser Welt, für Frieden, Freiheit, Gesundheit und Wohlergehen zu beten.

Dies kann kein Grund sein, jemanden zu verurteilen und zu bestrafen.

Insofern möchte ich meine tiefe Erschütterung zum Ausdruck bringen, da ich tatsächlich bis zu Ihrer Urteilsverkündung von einem Freispruch ausgegangen bin. Ich konnte mir bis dato tatsächlich nicht vorstellen und habe es nicht für möglich gehalten, dass eine Richterin am 23. Dezember 2022 – einen Tag vor Weihnachten, dem Fest der Liebe – jemanden verurteilt und als Hauptargument vorträgt, eine Kerze dabei gehabt zu haben. Dass Sie meinen bzw. den Ausführungen meines Rechtsanwaltes nicht Glauben schenken, dies obwohl es eine Tatsache ist, dass mein Bruder nicht mehr lebt. Und nicht weil er an Corona gestorben ist, sondern weil er unter den Maßnahmen gelitten hat.

Nicht zuletzt auch das Ereignis am 19. Dezember 2020, bei dem uns die Polizei massiv in unserem Gebet gestört und uns sehr unwürdig angeschrien und respektlos behandelt hat, hat ihn weiter in tiefe Verzweiflung und scheinbare Ausweglosigkeit, in eine tiefe Depression gestürzt, die letztendlich im Suizid endete.

Bis zur Urteilsverkündung bin ich davon ausgegangen, dass Sie als Richterin als neutrale Person unparteiisch Recht sprechen und Ihre Entscheidungsfindung ausschließlich an Recht und Gesetz bindet. Dass Sie ein gerechtes, vorurteilfreies Urteil sprechen und nicht „verurteilen“, weil Sie eine negative Meinung über etwas haben oder etwas für inakzeptabel halten.

Sie haben mich verurteilt, da die brennende Kerze für Sie ein Indiz dafür war, dass wir an einer verbotenen Kundgebung teilnehmen wollten. Dass eine Kundgebung hätte stattfinden sollen, davon wussten wir nichts. Dass keine Kundgebung stattfand, haben Sie selbst während der Verhandlung erfahren. Nicht einmal eine Versammlung fand statt, so dass Sie das Verfahren nicht auf die Teilnahme an einer verbotenen Kundgebung ausdehnen konnten.

Es war und ist durch keine Verordnung oder durch kein Gesetz verboten, mit einer Kerze im Freien zu stehen und zu beten.

Die Coronaschutzverordnung wurde erlassen, um Menschen zu schützen.

Zu schützen vor Ansteckung, vor Krankheit und nicht zuletzt vor dem Tod.

Ich frage Sie, war das Leben meines Bruders weniger schützenswert?

Am Rhein waren wir ganz alleine, nur wir beide sonst niemand. Wir haben niemanden gefährdet oder anderweitig belästigt. Mein Bruder und ich standen ganz alleine mit einer Kerze in der Hand beim Gebet am Rhein. Mein Bruder lebt nicht mehr.

Trotzdem möchte ich meinen Brief beenden mit den besten Wünschen für Sie, für Ihre Familie, für Ihre Angehörigen und für Ihre Freunde. Mögen Sie niemals in Ihrem Leben in eine Situation kommen, die Sie oder einen Ihnen nahestehenden Menschen in eine seelische Not bringt und von Verzweiflung und scheinbarer Ausweglosigkeit geprägt ist. Mögen Sie niemals zur falschen Zeit am falschen Ort sein und wenn doch, mögen Sie auf Menschen treffen, die – zumindest versuchen – Ihnen Verständnis und Wohlwollen entgegen zu bringen.  Mögen Sie Güte, Menschlichkeit und Nächstenliebe erfahren.

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie als Richterin neutral und unparteiisch Ihre Rechtsprechung wahrnehmen, sich bei Ihrer Entscheidungsfindung ausschließlich an Recht und Gesetz orientieren und vorurteilsfrei gerechte Urteile sprechen und „im Zweifel für den Angeklagten“ entscheiden.

Dass Sie bei der Urteilsverkündung „Im Namen des Volkes“ daran denken, dass Sie in diesem Moment die Stimme des gesamten Volkes sind und für alle sprechen.

Auch Sie werden Momente haben, in denen Sie eine Kerze entzünden und vielleicht im stillen Gebet inne halten. Vielleicht denken Sie dann irgendwann in einem solchen Moment darüber nach, dass Sie eine Frau einen Tag vor Weihnachten verurteilt haben, weil diese in Ihrer Verzweiflung und Hoffnung auf Trost mit einer Kerze in Mannheim am Rheinufer stand. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich dann selbst vergeben können.

 

Ich habe eine Kerze der Güte und Vergebung und der Menschlichkeit für Sie entzündet.

Friede sei mit Ihnen.

 

Sabine

Aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen möchte die Autorin ihren Familiennamen nicht veröffentlichen.

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